Die Borgstedter Doppeleiche
An dieser Stelle versammelten sich im März 1898 einige Borgstedter Bürger, um der „Schleswig-Holsteinische Erhebung“ zu gedenken, die 50 Jahre zuvor, im März 1848, begonnen hatte. Mit einem Gedenkstein und dem Pflanzen einer Doppeleiche sollte auf Anregung des Landrats in Borgstedt und anderen Dörfern des Amtes Hütten an dieses Ereignis erinnert werden.
Die Borgstedter Doppeleiche, die 1898 gepflanzt wurde, fiel in den 1970er Jahren einem Sturm zu Opfer und wurde durch diesen Baum ersetzt. Der besondere Wuchs der Doppeleiche – zwei kräftige Äste, die aus einem Stamm hervorgehen – sollte die Landesteile Schleswig und Holstein symbolisieren, die unzertrennbar
zusammengewachsen sind. So heißt es in der 7. Strophe des 1844 verfassten Schleswig-Holstein-Liedes:
„Teures Land, du Doppeleiche,
unter einer Krone Dach,
stehe fest und nimmer weiche,
wie der Feind auch dräuen mag!"
Der Spruch „Up ewig ungedeelt“ auf dem Gedenkstein ist ein verkürztes Zitat aus dem Ripener Vertrag, in dem die Adligen (Ritter) des Herzogtums Schleswig und der Grafschaften Holstein und Stormarn mit dem neu gewählten König Christian I. von Dänemark 1460 verschiedene Regelungen getroffen hatten. Der Vertrag verlor mit dem Tode König Christians 1481 seine Gültigkeit.
Erst im 19. Jahrhundert geriet der Vertrag von Ripen wieder ins öffentliche Bewusstein. Besonders ein Satz über die Ritterschaft in Schleswig und Holstein wurde besonders von deutscher Seite immer wieder zitiert:
„Dat se bliven ewich
tosamende ungedelt.“
Im aufkommenden Nationalismus des frühen 19. Jahrhundert war es das Ziel vieler Deutscher in Schleswig, Holstein und Lauenburg, die drei Herzogtümer aus der Personalunion mit Dänemark zu lösen (der dänische König war gleichzeitig Herzog von Schleswig, Holstein und Lauenburg) und sie unter einem deutschen
Fürsten zu einer selbständigen politischen Einheit im Rahmen eines noch zu gründenden deutschen Nationalstaats zusammenzufassen. Die königlich dänische Regierung versuchte verständlicherweise, solche Bestrebungen zu unterdrücken. Die national-liberale Bewegung in Dänemark hatte vielmehr das
Ziel, das Herzogtum Schleswig enger an den dänischen Gesamtstaat zu binden, es vielleicht sogar über eine Verfassungsreform uneingeschränkt Dänemark einzuverleiben. Dagegen wehrten sich die Deutschen in den Herzogtümern, indem sie auf den Vertrag von Ripen verwiesen und darauf, dass Schleswig und
Holstein „up ewig ungedeelt“ bleiben sollten. Dass sie dabei den Sinn dieser bald 400 Jahre alten Vertragsformulierung entstellten und ihren Bedürfnissen anpassten, störte damals kaum jemanden. Im Zuge der Märzrevolution von 1848, die weite Teile Europas erfasste, gewannen national-liberale Kräfte in Dänemark und in Deutschland an Boden: In Dänemark verlangten die sog. Eiderdänen eine komplette Einverleibung des Herzogtums Schleswig in Dänemark, die dänische Grenze sollte also an der Eider
verlaufen. Die meisten Deutschen in den Herzogtümern stemmten sich gegen diese Bestrebungen und verlangten eine Loslösung von Dänemark und einen selbständigen Kleinstaat Schleswig-Holstein.
Am 18. März 1848 forderte die schleswig-holsteinische Ständeversammlung und eine Volksversammlung in Rendsburg die Aufnahme des Herzogtums Schleswigs in den Deutschen Bund (dem Holstein und Lauenburg schon seit 1815 angehörten). Unter dem Eindruck dieser Forderung und auf den Druck der national-liberalen Kräfte in seinem Land musste der neue dänische König Friedrich VII. am 22. März eine neue, vorwiegend aus Eiderdänen bestehende Regierung bilden und einen Tag später das eiderdänische Programm, nämlich die Einverleibung Schleswigs in Dänemark, anerkennen. Schon am nächsten Tag verbreitete sich diese Nachricht in den Herzogtümern. In Kiel gingen aufgebrachte Bürger auf die Straße und protestierten. Führende politische Köpfe setzten sich zusammen, diskutierten hin und her und arbeiteten schließlich eine Proklamation aus, die sie am 24. März 1848 vor dem Kieler Rathaus (das damals noch auf dem Alten Markt stand) verlasen. Darin konstatierten sie u.a., dass der Wille des Landesherrn, also des dänischen Königs, nicht mehr frei und damit das Land ohne Regierung sei, also müsse man
vertretungsweise für den König die Staatsgewalt mit einer Provisorischen Regierung in Schleswig und Holstein übernehmen. Man verwahrte sich ausdrücklich vor einer Einverleibung Schleswigs in Dänemark. Die Provisorische
Regierung wurde gebildet u.a. von Wilhelm Beseler, Theodor Olshausen und Friedrich Graf von Reventlow, promienten Vertreter der „deutschen Sache“ in den Herzogtümern. Sie nahm ihre Arbeit noch am selben Tag in der Festungsstadt Rendsburg auf, deren dänische Besatzung am Morgen des 24. März von einer
kleinen revolutionären Truppe, darunter Studenten und Turner, kampflos überrumpelt worden war.
Die Folge dieser Ereignisse war ein Krieg zwischen Dänemark und revolutionären deutschen Truppen aus Schleswig und Holstein, die von Kontigenten des Deutschen Bundes, vor allem von Preußen, unterstützt wurden.
Zwischen 1848 und 1850 kam es zu verschiedenen Gefechten, u.a. bei Eckernförde, Missunde und Friedrichstadt. Als sich aber die Preußen auf internationalen Druck 1849 aus den Kriegshandlungen zurückzogen, war die Niederlage der deutschen Bewegung besiegelt. In der Schlacht bei Idstedt im Juli
1850 hatte die deutsche Seite keine Chance mehr gegen die dänische Übermacht. Die Dänen gewannen diese Schlacht, weit mehr als tausend Tote blieben auf dem Schlachtfeld nördlich von Schleswig zurück.Im Londoner Protokoll von 1852 wurde der Fortbestand der dänischen Herrschaft über Schleswig, Holstein und Lauenburg festgeschrieben, den Herzogtümern aber auch eine weitgehende Eigenständigkeit im Rahmen des dänischen Gesamtstaates garantiert. Unterzeichner und Garantiemächte des Londoner Protokolls waren Großbritannien, Frankreich, Russland, Schweden-Norwegen, Preußen und Österreich.
Einige Jahre später sollte die deutsche Bewegung dann doch noch zum Erfolg kommen, allerdings anders, als ursprünglich gedacht. Als die dänische Regierung nämlich 1863 mit einer Verfassungsänderung erneut versuchte, das Herzogtum Schleswig enger an den dänischen Gesamtstaat zu binden, nutzte der neue
preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck diesen Bruch des Londoner Protokolls, um preußische Truppen in die Herzogtümer einmarschieren zu lassen.
Unterstützt wurden die Preußen dabei von Kontingenten aus Österreich, das ja auch eine Garantiemacht der Londoner Regelungen von 1852 war. Gegen diese Übermacht hatten die Dänen keine Chance. Sie verloren den Deutsch-Dänischen Krieg – die Entscheidungsschlacht fand im Frühjahr 1864 an den Düppeler
Schanzen vor Sonderburg statt – und mussten Schleswig, Holstein und Lauenburg an Preußen und Österreich abtreten. Die beiden deutschen Großmächte verwalteten die drei Herzogtümer zunächst gemeinsam, doch schon 1865 teilten sie sich die Verwaltung auf: Preußen erhielt Schleswig und
Lauenburg, Österreich Holstein.
Dies war allerdings nur eine Übergangslösung. Die Frage nach der Vormachtstellung im Deutschen Bund führte 1866 zum Krieg zwischen Preußen und Österreich. Diesen Deutschen Krieg („Bruderkrieg“) gewannen die Preußen überraschend schnell – die entscheidende Schlacht fand Anfang Juli 1866 bei
Königgrätz im heutigen Tschechien statt. Damit war auch das Schicksal der drei Herzogtümer besiegelt, der Traum von einem selbständigen Fürstentum begraben: Bismarck zögerte nicht lange und machte Schleswig, Holstein und Lauenburg zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Deren Nordgrenze verlief übrigens bis 1920 weiter nördlich als heute, etwa an der Königsau, einem kleinen Fluss in Jütland. Die Provinz umfasste damit u.a. auch die Städte Tondern, Hadersleben, Apenrade und Sonderburg.
Jahre nach diesen Ereignissen, als das inzwischen gegründete Deutsche Reich vom preußischen König regiert wurde, der gleichzeitig deutscher Kaiser war, kamen patriotisch gesinnte Borgstedter Bürger hier zusammen, um an die Ereignisse, die sich ein halbes Jahrhundert zuvor zugetragen hatten, zu erinnern.
Den Baum und den Platz stiftete der Borgstedter Bauer Mohr, der 50 Jahre zuvor an den Kämpfen gegen Dänemark teilgenommen hatte.
Bild 23 Stein an der Doppeleiche
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